Etwas lag in der Luft. Ein süßer, schwerer Duft, war es und er wurde vom großen Hafenbecken aus mit der salzigen Seeluft hoch in die Stadt getragen. Es war der
betörende, sinnliche Duft von weinroten Moschusblüten aus den heißen, dampfenden Dschungeln des Südens. Er war aber gemischt mit den Gerüchen von edlen und seltenen Gewürzen, wohlriechenden Ölen, welche die Sinne und den Verstand reinigen und entspannen sollen, und von kostbaren Duftwassern, mit denen sich die edlen Fräuleins der Baronien und die hochnäsigen Adelmänner am Hofe des Kaisers beträufeln, um ihre eigenen Duft, welcher nicht immer ihren adeligen Gepflogenheiten angepasst war, zu übertonen. Zu diesem Duftstrom kamen noch die Gerüche der Garküchen und Backstuben, welche die breite Straße, die den alten Stadtkern mit dem Hafen verbindet, zieren. Der Duft von frisch gebackenen Weizenbroten, gebratenem Hammelfleisch mit viel Knoblauch, geräucherten Seelachs und frischer Haifischflossensuppe, von deftigen Schweinebraten und würzig-scharfen Hähnchenspießen, welche über einer besonderen Holzkohle saftig und zart gegrillt werden, vermischte sich, ja verknotete sich regelrecht zu einem Seil aus wohlriechenden Genüssen für den Gaumen und für die Nase. Doch auch dieser wunderbare Geruchsstrom, dieser Strudel aus ätherischen Wohlbefindens, wurde von den schwere Dunstschwaden verunreinigt, welche die Menschen, die Tiere und die Eisengitter der Kanalisation verströmten. Und so mancher kniff sich die Nasenflügel zusammen, um seine gar so empfindliche Nase vor den ganzen Beleidigungen zu schützen, welche die Kanäle und so mancher Mensch mit vollster Kraft von sich gaben. Aber auch jene, welche ihr feinen Näschen zu schützen versuchen und vielleicht auch fähig waren, ihre ständig arbeitende Verdauung, in mancher Hinsicht zu zähmen, rochen auch nicht besser. Denn die pralle Hitze der vormittäglichen Sonne trieb den Leuten den heißen, salzigen Schweiß auf die manchmal schon recht lange Stirn und unter die Achseln, in denen sich der heiße Körpersaft wie ein kleiner Salzsee staute und seinen charakterlichen Duft verströmte, welche auch nicht von den teuren Seidenhemden und Blusen, welchen so manchen Händler recht reich gemacht haben, aufgehalten werden konnte. Und so vermischten sich die Ausdünstungen der Menschen und Halbmenschen, der Tiere und der Kanalisation mit dem fernen, exotischen Duft, der vom Hafen herweht. Und so war es eben. Es roch in der Stadt nach Leben und das Leben stinkt nun mal. Hier richt es noch nach saftigen Essen, einige Schritte weiter daneben roch es schon nach den stinkenden Fäkalien eines Straßenköders, der verschimmelten Fisch von einem Abfallhaufen gestohlen hatte. Die Adelsfrau roch nach Rosenöl, während ihr Gatte noch immer den Duft des billigen Parfüms und des heißen, lustfeuchten Schoßes des Dirne der letzten Nacht an sich kleben hatte.
Ja, Ti’Leanna stank.
Und das nicht zu wenig.
Denn obwohl die Stadt, mit ihren schlanken Türmen und Minaretten aus Jade und Marmor, ihren Maueren und Häusern, welche aus hellen Steinen und Elfenholz bestanden und mit Obsidianschindeln gedeckt waren, von dem hohen, schönen Volke der Caledar, der Hochelfen, schon vor vielen tausend Jahren gebaut worden war, stank sie genauso wie die Hafenstädte der Menschen oder der anderen Völker, welche an den Küsten des großen Meere lebten. Doch die Melange aus himmlischen, ätherischen Düften, den saftigen Gerüchen der Garküchen und den mismatischen Ausdünstungen der Kanalisation, geben der alten Stadt etwas markantes, etwas lebendiges. Es ist wie mit einem Menschen. Menschen, die nicht riechen, haben etwas befremdliches an sich. Etwas dämonisches, was man sich nicht erklären kann. Vielleicht merkt man auch gar nicht, dass es das Nichtvorhandensein des Körpergeruchs das befremdliche ist, doch man spürt das unbekannte Grauen, welches von dieser Person ausgeht. Jeder Mensch richt irgendwie, ob nun gut oder weniger gut. Und so war es auch mit den Städten. Städte rochen nach irgendetwas undefinierbaren. Doch wenn man ganz genau schnüffelte, bemerkte der olfaktorisch geschulte Geist, dass alle Städte sich vom Geruch her zwar ähnelten, im Grunde aber doch völlig verschieden sind. Ti’Leanna zum Beispiel roch wie ein junges, schönes Elfenmädchen, welches sich seit einigen hundert Jahren nicht mehr richtig gewaschen hat und immer wieder von fremden Händen begrabscht wurde. Zwar hat es immer noch seine strahlende Schönheit, doch der unsaubere Gestank und die dreckigen Flecken von den fremden Fingern sind immer vorhanden.
Und Ti’Leanna wird täglich von sehr viele fremden Händen begrabscht. Jeden Tag laufen prächtige Segelschiffe aus fernen Ländern ein und bringen neue, fremde Wesen in die Stadt. Die grünen Straßen sind die Lebensadern der Stadt. Und in ihnen fließt viel fremdes Blut. Menschen aus dem Kaiserreich Galadorn kommen mit ihren großen Handelsschiffen, um eigene Waren zu verkaufen und fremde, exotische Waren zu ersteigern. Ebenso tauchen auch ein oder zwei Schiffe der Sternensee-Piraten auf und versuchen ihre gestohlenen Waren für einen unverschämten Preis auf dem hiesigen Schwarzmarkt zu verscherbeln. Zwergen aus den Hügelländern der Westküste verkaufen Rohmithril und streiten sich ständig mit den Elfenhändlern um die besseren Barrenpreise. Daikini-Halblinge streifen durch die verwinkelten Gassen und Straßen, immer auch der Suche nach einem neuen Abenteuer oder einer viel zu vollen Geldbörse, welche sich unbedingt nach Erleichterung sehnt. Wulfen aus den südlichen Wäldern verkaufen an den großen Basaren, die mit großen orangefarbenen Seidentüchern überspannt sind, um die Waren vor der prallen Sonne zu schützen, geräuchertes Roorback- und Dyrenfleisch und die mächtigen, Ehrfurcht einflössenden Waldtrolle preisen ihre Schnitzereien aus Elfenbein und weichem Tropenholz an. An den Straßenecken stehen oft ein paar Crysaliten und sagen Unerschrockenen die Zukunft voraus. Elóyms diskutieren in den luftigen Teehäusern der Altstadt über die Philosophien alte, weiser Leute oder verkaufen Abschriften berühmter Zauberbücher. In manchen Werkstätten tüfteln die Bastlergnome an ihren neuesten Erfindungen, welche aber meist in einer stinkenden Rauchwolke ihre kurzzeitige Funktionstüchtigkeit quittieren und Orksöldner sitzen in den offenen Straßenkneipen und trinken einen Wurzelschnaps nach dem anderen. Neben Vertretern der großen Rassen der Welt tummeln sich mindestens noch genauso viele Vertreter unbekannter Rassen in den Straßen, den Basaren und Markthallen.
Dies alles ist es, was Ti’Leanna seinen besonderen Duft gibt.
Doch da ist noch ein Duft in diesem Mahlstrom der Gerüche. Ein merkwürdiger, seltsamer Duft, welcher von keiner Speise, keinem Getränk, keinem Menschen oder Halbmenschen und von keinem Tier ausgeht. Viele kennen diesen Duft, welcher vom Hafen in die Stadt hochzieht, welcher aus den Seemannskneipen und überfüllten Spelunken herauszieht, aber nur wenige kennen ihn richtig und ihm schon zu seinem Ursprung gefolgt. Der Ursprung, der Quell jenes mysteriöse Duftes, sind aber nicht die nach Bier stinkenden Seebären, welche ihre meist übertriebenen Geschichten zum hundertsten Male wiederholen und die jedes mal gefährlicher und phantastischer werden und auch nicht die Gespräche der Seeleute an den Docks. Doch über sie wird dieser Geruch, dieser Duft nach Gold und Ruhm, aber auch nach Schweiß und Blut, zu den Menschen in die Städte getragen. Und viele, welche diesen Duft das erste Mal richtig gerochen und Gefallen daran gefunden haben, werden versuchen ihm zu folgen, seinen Quelle zu finden. Es war der Duft von Ruhm und Ehre, Gold und Edelsteinen, schöner Frauen und grauenhafter Monster, von exotischen Ländern und uralten Städten.
Es war der Duft des Abenteuers.
(C) by me