Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden  
Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 0 Antworten
und wurde 302 mal aufgerufen
 Gedichte und Geschichten
lebenskrank Offline

Adminna


Beiträge: 175

16.05.2005 18:23
Koboldfeuer Antworten

(c) lebenskrank

Der Nebel legt sich. Es ist still, kein Geräusch in dieser Nacht. Abgesehen von den regelmässigen Atemzügen einer Frau und den Geräuschen des Meeres. Sie friert. Zieht den Mantel fester um sich. Ihre nackten Zehen graben sich in das Moos. Sie steht einfach da. Schweigt. Lauscht. Beobachtet. Sieht auf das Meer, atmet die salzige Luft ein. Lauscht dem Gesang der Wellen wenn sie sich an den Klippen brechen.
Sie wartet. Schon so lange. Sie erinnert sich nicht einmal mehr, worauf sie wartet. Das dünne weisse Haar umspielt ihr Gesicht. Leuchtet im Mondlicht gespenstisch auf. Ihre Augen sind schlecht, sie sieht nur noch verschwommen.

"Seeschwalben..." das Wort verfestigt sich in ihrem Geist und sie spricht es aus, verwundert über den Klang ihrer eigenen Stimme. Sie streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Blasse Haut. Durchscheinende, alte Haut. Und rissig. Ja, so rissig. Vorsichtig, langsam, steigt sie die steinerne Treppe zum Meer hinab. Kniet sich nieder. Der Sand und die spitzen Kiesel scheuern ihr die Knie auf. Ihre alten Knochen ächzen unter der Bewegung und ihre krummen, schmerzenden Finger graben sich in den Sand, bilden eine Schale und heben ihn heraus. Sie führt den Sand näher an ihr Gesicht. Näher an ihre Augen. Als würde sie in der Nacht, nur bei Mondlicht, etwas erkennen können. Sie seufzt. Der Sand rinnt durch ihre Finger zurück.

"Wie das Leben aus mir..." denkt sie wehmütig und eine Hand gleitet in schützender Geste auf ihren Leib. Sie runzelt die Stirn, doch ihr gesamtes Gesicht runzelt sich mit. Dann steht sie auf. Langsam und vorsichtig. Sie ist sich bewusst, das ihr Körper nicht mehr so flink ist wie einst. Sie reibt sich die Handflächen an ihrem Mantel sauber und geht ein paar Schritte aufs Meer zu. Die spitzen Kiesel hinterlassen blutige Scharten an der dünnen Haut ihrer Füsse. Und das Salzwasser brennt in den Wunden, als es der Alten mit der nächsten Welle um die Knöchel schwappt. Sie trippelt wieder zurück. Schüttel sich widerwillig. "Nass..." Sie verzieht das Gesicht. Wendet den Kopf hin und her, suchend. Witternd. Aber auch ihr Geruchssinn schwindet immer mehr. Nur noch schwach nimmt sie den Duft des Meeres wahr, selbst in der direkten Nähe nur noch ein schwacher Abklatsch von dem, was es früher einmal war.

Aber ihre Gefühle hat das Alter noch nicht angefressen, nur von ihren Erinnerungen genascht. Ausgiebig. Aber manchmal sind sie da. Worte. Gedanken. Wenn sich der Nebel in ihrem Kopf lichtet. Die Gedanken wie aufgescheuchte Vögel zu kreisen anfangen. Sie den einen oder anderen Fetzen Erinnerung erhaschen kann, der sich vor dem Vergessen retten konnte. Momentan nennt sich dieser Erinnerungsfetzen "Koplafirra" und schwirrt länger in ihrem Kopf herum als die anderen.
Sie kneift die Augen zusammen. Versucht sich zu konzentrieren.
"Kopla... Firra..." murmelt sie. Geht am Ufer entlang. Es zieht sie zu den Klipphöhlen.

Das Meer rauscht. Wird wild. Je näher sie den Höhlen kommt. "Sturm..." hallt es in ihrem Kopf. Sie bleibt stehen. Verfolgt den Gedanken. Verliert ihn. Geht weiter. Muss ein Stück ins Meer um zu den Höhlen zu kommen. Die Wellen umspielen ihre Knie. Der Mantel zieht sich voll Salzwasser. Das Kleid klebt an ihr wie eine zweite Haut. Gischt treibt an ihrer Hand vorbei. "Wolke..." intoniert sie. Greift an die Vorsprünge der Klippe. Hält sich fest. Zieht sich auf die Höhlen zu. Es ist anstrengend. Anstrengender als früher.

Wassertropfen. Regen. Wie aus Eimern. Drängt sie gegen die Klippenwand. Sie ist müde. Erschöpft. Schleppt sich in Richtung der Höhlen, zieht sich an der Klippenfront entlang. Meerwasser presst sich gegen sie. Gegen ihre Beine. Hüften. Zerbrechliche Knochen. Alte Knochen. Die Kleider werden schwer. Ziehen sie nach unten. Strampeln. Festhalten. Untergehen. Das Salzwasser brennt in ihren Augen. Sie strampelt. Kommt nicht hoch. Der Mantel hängt fest. Gleitet über ihre Schultern. Luft. Tosen. Lärm. Gut, das sie nur noch schlecht hört. Sie zieht sich an einem Vorsprung hoch. Taumelt in das verschlingend dunkle Maul der Höhle.

"Klipphöhle..." sie kauert sich zusammen. Arme um die Knie und auf dem Boden sitzend. Kindlich. Ein Schimmern auf den matten Augen. Ihr ist kalt. Das Kleid klebt an der Haut. Nass. Salzig. Drückend. Die Luft ist abgestanden, modrig. "Alt..." brummelt sie. Lehnt sich zurück. Den Rücken an die rauhen, gratigen Höhlenwände. Erkennt, unscharf, verschwommen, Glitzerndes an den Wänden. Sie ist müde. Lehnt den Kopf an die Wand. Dünne Haut platzt auf. Blut rinnt über Schläfe, Wange, Hals. Unbemerkt.

Sonnenaufgang. Alte Augen beobachten ihn. Müde Augen. Aus einer Klipphöhle heraus. Die alte Eszeja wartet auf das Koboldfeuer. Weiss es nur nicht. Lichtblitze auf dem Meer. Sie tun ihren Augen weh. Bedeckt sie mit den Händen. Wiegt den Kopf hin und her. Summt. Ein Kinderlied. Sonnenstrahlen dringen in die Höhle. Spiegeln sich an Wassertropfen. An Rinnsalen auf den Wänden. Lichtspiele. Lichtbrüche. Regenbogenfarben. Sie lächelt. "Koplafirra..." raunt sie. Schliesst die Augen. Schläft ein.



A mathematican is a blind man in a dark room looking for a black cat which is not there

.x[Charles R. Darwin]x.


«« Der Elf
 Sprung  
Administratoren: Frau Lebenskrank
Xobor Xobor Forum Software
Einfach ein eigenes Forum erstellen
Datenschutz